Beschwichtigungssignale

Calming Signals – die Beschwichtigungssignale der Hunde

„Gewalt bewirkt niemals etwas Gutes, weder bei Menschen, noch bei Hunden“
Turid Rugaas (1999)

🐕 Was sind Calming Signals?

Viele von Ihnen werden diese Situation nur zu gut kennen: Man steht mit fremden Menschen auf engstem Raum zusammen. Aus Verlegenheit schaut man aneinander vorbei oder richtet den Blick auf den Boden. Man bewegt sich gar nicht oder nur vorsichtig, um niemanden anzustoßen. Treffen sich doch einmal die Blicke, lächelt man einander verlegen an und schaut schnell wieder nach untern. Dieses Verhalten zeigt die eigene Befangenheit, ist aber auch Ausdruck von Höflichkeit gegenüber den Mitfahrern. Die Gesten zeigen dem Gegenüber, daß man ihm eigentlich nicht zu nahe treten will, wenn man auch durch die Situation vorübergehend dazu gezwungen ist.

Ähnliche Gesten mit ganz ähnlicher Bedeutung verwenden auch Hunde und Wölfe zur Verständigung mit Artgenossen und Menschen. Beobachtungen an frei lebenden Wolfsrudeln haben gezeigt, dass sie Meister im Konfliktlösen sind. Sie vermeiden Auseinandersetzungen, wann immer es geht. In diesem Zusammenhang hatte man schon relativ früh erkannt, dass Wölfe über ein umfangreiches Repertoire an Signalen verfügen, die dazu dienen, Konflikte zu entschärfen und Spannungen abzubauen. Allerdings wurden sie lange Zeit nicht richtig erforscht, außerdem hatte man ihre Existenz nicht auf die Hundewelt übertragen.
Auch unsere Haushunde wenden regelmäßig konfliktlösende Signale an – von Welpenbeinen an bis ins hohe Alter. Jeder Hund, überall auf der Welt, sendet diese Signale aus und kann sie seinerseits auch lesen. Eine Vielzahl verschiedener so genannter „Calming Signals“ (Beschwichtigungssignale) wurde identifiziert. Die finnische Hundetrainerin Turid Rugaas hat sie jahrelang erforscht den Calming Signals ihren Namen gegeben. Während ihrer Studien beobachtete sie mehrere hundert Hunde, von Welpenbeinen an bis ins hohe Alter.
Als ich meine Diplomarbeit über das Verhalten von Asiatischen Wildhunden verfasst habe, konnte ich während meiner Beobachtungen häufig solche Beruhigungsgesten sehen. Die Rudelmitglieder wendeten sie in den unterschiedlichsten Situationen an.

Die Calming Signals sind genetisch festgelegt. Hunde senden sie immer dann aus, wenn sie beunruhigt sind oder wenn der Gegenüber diese Zeichen aussendet. Sie verwenden diese Signale auch, um mit Menschen zu kommunizieren. Auch der Mensch verfügt über ein umfangreiches Repertoire solcher meist unbewusst benutzter Signale, die beim Menschen als „nonverbale Kommunikation“ bezeichnet werden. Ein Hund kann die nonverbalen Signale des Menschen lesen und den Menschen verstehen. So erkennen Hunde, wenn ein Mensch unsicher ist oder Angst vor ihm hat und kann diese Situation zu seinem eigenen Vorteil ausnutzen.
Im Laufe des Zusammenlebens mit seinem Menschen lernt der Hund die Fremdsprache „menschlich“ immer besser, was leider umgekehrt selten der Fall ist. Wer sich aber als Mensch mit den Beschwichtigungssignalen beschäftigt, wird seinen Hund besser kennen- und einschätzen lernen und somit Konflikte im Zusammenleben mit dem Hund vermeiden können.

Achtung: Ich bin der Ansicht, dass nicht jedes Gähnen, Züngeln oder Pföteln ein Beschwichtigungssignal ist. Manchmal gähnt der Hund einfach nur, weil er müde ist;-)
Die Signale werden auch in Situationen gezeigt, in denen Hunde alleine sind und keinen Partner haben, auf den das Signal gerichtet sein könnte. Im Jahr 2006 wurde eine Diplomarbeit von Mira Meyer zu diesem Thema veröffentlicht, die das bestätigt.

🐕  Wozu werden Calming Signals angewendet?

Mit den Beschwichtigungssignalen möchte ein Hund seinem Gegenüber (egal ob Mensch oder Hund) vermitteln, dass er sich zwar etwas unbehaglich in der momentanen Situation fühlt, aber dem anderen gegenüber keine feindlichen Absichten hegt und ihn nicht angreifen will. Einige der Signale können in einem anderem Zusammenhang aber auch Unterwürfigkeit oder Stress ausdrücken.
Wendet ein rangniederer Hund die Calming Signals an, drückt er in etwa aus: „Okay, du bist der Boss und ich habe nicht vor, Dir Ärger zu machen.“ Von einem ranghohen Tier gezeigt bedeuten sie: „Ich bin hier der Chef, aber ich habe nicht vor, dir etwas zu tun.“
Ein Hund, der die Signale verwendet, sucht in diesem Moment nicht unbedingt engen Kontakt zu seinem Gegenüber. Natürlich kann eine Freundschaft oder ein Spiel aus einer Hundebegegnung entstehen, die mit anfänglichen Beschwichtigungssignalen beginnt, aber die Signale selber bedeuten zunächst einmal eher Neutralität im Sinne von friedlicher Koexistenz als direkte Annäherungsabsichten.
Calming Signals sind elementar wichtig, um Konflikte zu lösen oder zu vermeiden. Kein Wolfsrudel könnte ohne die Verwendung von Beschwichtigungssignalen bestehen. Das harmonische Zusammenleben sowie die Konfliktvermeidung wird auf diese Weise gewährleistet.
Hat man erst einmal ein Auge dafür entwickelt, sieht man die Signale überall und jederzeit, wo Hunde mit anderen Hunden oder Menschen zu tun haben. Man fragt sich natürlich, warum sie einem vorher noch nie auffielen und warum sie auch prominenten Wolfs- und Hundeforschern trotz jahrzehntelanger Forschung offenbar bisher immer entgangen sind. Jedenfalls kenne ich bisher keine ältere Fachliteratur, die diese Signale erwähnt, bevor Turid Rugaas sie entdeckt hat. Ihr gebührt also der Verdienst, durch einen neuen Blickwinkel neue und sehr bedeutende Erkenntnisse gewonnen und dem interessierten Hundehalter zugänglich gemacht zu haben.

🐕 Calming Signals zwischen Hunden

Hunde, die reichlich Beschwichtigungssignale verwenden, haben in der Regel keine größeren Schwierigkeiten mit Artgenossen. Ist z.B. zwischen zwei Hunden eine bedrohliche Situation – etwa ein sehr angespanntes Imponierritual – entstanden, braucht man sich keine großen Sorgen zu machen, wenn zumindest einer von beiden beginnt, zu beschwichtigen. Am besten ist es, die Hunde dann in Ruhe zu lassen. Das heißt natürlich nicht, dass Sie ihren Hund aus den Augen lassen sollen. Ich beobachte solche Konfliktsituationen immer ganz genau und auch die gesamte Körperhaltung von beiden Hunden. Normalerweilse werden die beiden ohne Kampf auseinander gehen.
Führt man seinen Hund an der Leine an einem anderen angeleinten Hund vorbei, kann man die Situation wesentlich entschärfen, wenn man den eigenen Hund z.B. mit einem Leckerli dazu bringen kann, den Kopf vom anderen weg zu drehen. Denn dieses Kopfabwenden wirkt auf den fremden Hund, als ob der Andere Signale von sich gibt.
Manche Hunde sind auch in Begegnungen mit Artgenossen ängstlich und unterwürfig, manchmal sogar übertrieben aufdringlich-freundlich. Ausgerechnet solche Hunde werden leider oft zu „Mobbing“-Opfern – sie werden von Artgenossen gejagt, herum geschubst und gepiesackt. Auch meine Ronja neigt leider dazu, ängstliche oder übertrieben unterwürfige Hunde zu mobben. Aber: es muss dazu gesagt werden, dass die Opfer fast immer Hunde sind, die nicht die Calming Signals verwenden. Verwendet der ängstliche Hund die Signale, wird er zwar gründlich beschnuppert und evtl. ein wenig eingeschüchtert, aber nicht ernsthaft angegriffen oder gejagt werden, denn er führt die Begrüßung eines Fremden mit der würdevollen Ruhe und Distanz durch, die erwachsene Hunde normalerweise von anderen Hunden erwarten.
Oft konnte ich beobachten, dass fremde Hunde auf andere Hunde zugestürmt kamen und kurz vor dem anderen Hund plötzlich abrupt anhielten, da dieser einfach den Kopf oder seinen wegdrehte.

🐕 Calming Signals zwischen Hunden und Menschen

Als Hundehalter kann man die Calming Signals vielfältig anwenden. Zunächst ist es natürlich aufschlussreich, Hunde untereinander zu beobachten. Wann und in welchen Situationen wenden sie die Signale an? Welche Signale können Sie erkennen? Manchmal bedarf es etwas Übung, da viele Signale schnell übersehen werden. Oft sind es nur Milisekunden, in denen sich der Hund über die Lefzen leckt.
Folgende Szene hat jeder schon einmal erlebt: ein Hund kommt nicht auf Ruf, sein Mensch ist ungeduldig und ruft mit lauter, schon genervt klingender Stimme. Statt schnell und auf direktem Wege heran zu kommen, trödelt der Hund. Er schlägt einen Bogen um den wütenden Menschen, wobei er immer wieder stehenbleibt und hier und da schnüffelt. Schließlich setzt er sich zwei Meter vor seinen wütenden Menschen hin, wobei er ihm auch noch das Hinterteil zuwendet. Der Mensch denkt, sein Hund sei heute ganz besonders stur und frech. Außerdem macht er sich offensichtlich ein Späßchen daraus, ihn auf die Palme zu bringen. Oder aber Herrchen denkt, sein Hund hätte ein schlechtes Gewissen und weiß ganz genau, dass er etwas falsch gemacht hat. Aber beide Vermutungen sind falsch! Ein freundlicher, gutwilliger Hund tut mit genau diesem Verhalten sein Bestes, um seinen aufgebrachten Menschen zu besänftigen: „Schon gut, beruhige dich doch bitte! Ich will dich auch ganz bestimmt nicht herausfordern.“ Das möchte der Hund seinem Besitzer mitteilen. Und wird leider von diesem gründlich mißverstanden.
So erlebt man leider immer wieder Hundebesitzer, die ihre Hunde anschreien, er solle sie gefälligst ansehen, wenn sie mit ihm schimpfen. Oder sie gehen sogar so weit und zwingen den Hund, ihnen in die Augen zu sehen. Das Kopfabwenden des Hundes wird also gründlich mißverstanden und der Hund wird dafür bestraft, dass er hündisches Verhalten zeigt.
Leider beschäftigen sich viel zu wenige Hundebesitzer mit den Calming Signals und der Körpersprache des Hundes. Würden das mehr Leute tun, würde es zu viel weniger Missverständnissen zwischen Hund und Halter kommen, weil die Leute lernen, ihren Hund und seine Körpersprache zu lesen. Zeigt ein Hund in Ausbildungssituationen viele Signale (z.B. wenn man ihn – wenn auch sanft – zu etwas zwingt oder gar an der Leine ruckt o.ä.), bedeutet das, dass der Mensch ihn psychisch oder körperlich zu sehr unter Druck setzt.

🐕 Calming Signals als Warnsignale

Es kann durchaus Situationen geben, in denen Calming Signals als Warnsignal interpretiert werden sollten, nämlich wenn ein Hund, der zuvor völlig entspannt war, anfängt, Beschwichtigungssignale zu zeigen.
Ein menschenfreundlichen Hund, der aber Kinder nicht kennt und nicht weiß, wie sich Kinder verhalten, wird in der Regel sehr viele Siganle im Kontakt mit Kindern aussenden. Beispiel: Ein Kind im Krabbelalter kriecht dem Hund unter dem Wohnzimmertisch immer wieder nach, kräht fröhlich und fasst ihn ins Fell. Alle freuen sich, wie lieb doch der Hund ist – er knurrt gar nicht. Aber es ist nicht alles in bester Ordnung, so wie man es annehmen möchte. Wenn der Hund bereits Calming Signals aussendet, wird es ihm langsam zu viel. Er versucht dem Kind zu sagen: „Ich möchte dir zwar nichts tun, aber du nervst und ich fühle mich von dir bedrängt.“ Es wird also höchste Zeit, dass man ihm zu seiner Ruhe verhilft, sonst kann das ganze eskalieren. Irgendwann wird der Hund vermutlich mit Schnappen reagieren, wenn er sich nicht mehr zu helfen weiß. Dann heißt es, der Hund wäre böse und hätte vorher nicht gewarnt. Aber das hat er ja! Es wurde nur übersehen, da Beschwichtigungssignale häufig nicht bekannt sind bzw. erkannt werden.
Dasselbe gilt natürlich auch, wenn man mit dem eigenen oder einem fremden Hund engeren Kontakt hat, ihn z.B. streichelt oder gar umarmt. Calming Signals können in dieser Situation ein Zeichen dafür sein, dass er sich dabei eher unwohl, ja womöglich sogar bedroht fühlt. Gut sozialisierte, auf Menschen geprägte Hunde verstehen zwar, dass Menschen oft dazu neigen, sie zu umarmen oder ihnen von oben den Kopf tätscheln. Andere Hunde aber, die nicht gut geprägt wurden, unsicheres Verhalten zeigen oder weniger Umgang mit Menschen haben, können diese Gesten missverstehen. So wirken die beiden obengenannten Verhaltensweisen des Menschen als Bedrohung für den Hund.

🐕 Calming Signals im Umgang mit dem Hund verwenden

Beobachten Sie, dass Ihr Hund in einer Situation, in der er sehr angespannt ist, anfängt, Beschwichtigungssignale zu verwenden, ist das ein gutes Zeichen, denn er versucht gerade, einen Konflikt gütlich zu regeln. Hunde benutzen die Signale allerdings auch, um sich selber zu beruhigen. So kann die Körperhaltung die Gefühle beeinflussen. Ein Hund fühlt sich entspannter und sicherer, wenn er selber Signale aussendet. Dieser Mechanismus wirkt auch von Hund zu Hund (oder von Mensch zu Hund) im Sinne der Stimmungsübertragung: ein gestresster, ängstlicher oder aggressiver Hund wird sich schneller beruhigen, wenn die Hunde und Menschen in seiner Umgebung beruhigende Körpersprachensignale aussenden. Sie sind vor allem nützlich, wenn man das Vertrauen eines ängstlichen Hundes gewinnen will (oder eines Hundes, der zu Aggression neigt, die ja ihre Wurzel überwiegend in Unsicherheit und Angst hat).

Die Calming Signals habe ich von Anfang an bei Ronja angewendet und sie haben Wunder vollbracht. Auch heute noch wende ich sie an, wenn ich merke, dass sie leicht gestresst ist oder ihr etwas unheimlich ist. Fremde Menschen, die ihr nicht geheuer sind, bitte ich immer, sich dem Hund nicht frontal zu nähern und ihn auch nicht anzusehen. Am besten funktioniert es, wenn man sich leicht vom Hund wegdreht, gegebenenfalls sogar in die Knie geht, den Kopf abwendet und nur eine Hand hängen lässt, damit der Hund sie beschnüffeln und Kontakt aufnehmen kann. Gähnen und Lippen funktionieren auch hervorragend!
Sie werden staunen, wie viel leichter Sie Zugang zu ängstlichen Hunden finden und wie erfreut auch Ihr eigener Hund ist, wenn Sie ihn gelegentlich in seiner eigenen Sprache ansprechen.

   Die wichtigsten Calming Signals

  • Den Kopf vom anderen Hund wegdrehen
  • Die Augen vom anderen Hund abwenden, direkten Blickkontakt vermeiden
  • Dem anderen Hund die Seite oder das Hinterteil zudrehen
  • Sich kurz die eigene Nase lecken, das sogenannte „züngeln“
  • Gähnen
  • Stillhalten, „erstarren“ (ganz still stehen, sitzen oder liegen), allerdings nur, falls der Hund sein Gegenüber dabei nicht mit starrem Blick fixiert!
    Sich sehr langsam bewegen, die eigene Bewegung stark verlangsamen (aber ebenfalls nur dann, wenn dabei der Blick nicht starr auf den anderen Hund gerichtet ist!)
  • Spielaufforderungen, z.B. die „Spielverbeugung“
  • Pfote geben oder leicht anheben
  • Sich hinsetzen oder hinlegen
  • Mitten in der Begegnung am Boden schnüffeln
  • Einen Bogen machen: der Hund geht nicht in gerader Linie auf den anderen zu, sondern in einem Bogen oder er geht am anderen vorbei
  • Schnelles Wedeln mit gesenkter Rute oder Rutenspitze oder langsames Pendeln der entspannt hängenden Rute. (Langsames Hin- und herbewegen der hoch aufgerichteten Rute zusammen mit durchgedrückten Beinen kann Teil des Imponierverhaltens und eher eine Drohung sein!
  • Dazwischengehen / Splitten
  • Markieren
  • Andere Signale: außerdem gibt es noch Signale, die in Einzelfällen zu beobachten sind. Wie: mit den Lippen schmatzen, das Gesicht glattziehen (Welpengesicht),
    sich kindisch bzw. “welpisch” benehmen, obwohl der Hund erwachsen ist

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